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![]() Stille. Stille kann eintreten. Der Verkehrslärm der Umgebung kann in den Hintergrund treten. Stille hält Einzug, wenn Menschen sich versammeln und die Bühne bereit ist für ZEIT. Es ist passiert. Zu bestimmten Stunden, an bestimmten Tagen. Das Kunstprojekt CHRONONIMA bot die Bühne, skizzierte den Rahmen, in dem sich alles abspielte. In diesem Sommer bewegten wir uns in Zeitlupe, analog und auf eigenen Füßen. Wir trugen eine tönende Sänfte. Aus dem Inneren erklang ein Hörspiel zu ZEIT, STILLE und WARTEN. Wir waren kostümiert, trugen Masken und begrüßten Menschen, denen wir begegneten. Wir schritten die Josefsgasse hinauf und die Lange Gasse entlang. Unsere Schritte waren ausladend, unsere Gesten einladend. Einige Leute zogen mit uns. Wir machten Halt und begannen mit unseren Aufführungen. Die ersten Straßen-Hörspiele ertönten. Wir bewegten uns pantomimisch, unsere Körperposen begleiteten die Hörspiele und vice-versa. Text, Lyrik und Sound-Landschaften ertönten und bildeten ein theatral-auditives Gesamtkunstwerk im öffentlichen Raum. ![]() (Foto: Hannes Gröblacher) ERZÄHLUNG - - - ABSTRAKTE PANTOMIME - - - HÖRSPIEL Stets begannen wir in der Josefsgasse mit unserer Suche nach der längsten Sekunde dieses Sommers. Unsere Sänfte, unsere Kostümierung lockt die ersten Neugierigen an. Der Radverkehr saust an uns vorbei, wir lassen uns jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Unsere Stärke ist die Langsamkeit, das Innenhalten. Unsere Stimmung wird getragen von Gelassenheit und Understatement. Das erstes Straßen-Hörspiel beginnt, wir bewegen uns tänzerisch-pantomimisch zu den Tönen, Melodien und Stimmszenerien des Audiostücks. Strahlendes Spätsommer-Sonnenlicht bescheint uns. Tourist:innen, Bezirksbewohner:innen, Galeriebesucher:innen der benachbarten Kunstgalerie sowie interessierte Menschen aus Wien und Niederösterreich bilden unseren Publikumskreis und verfolgen unsere Performance. Ich blicke in die Luft, in den Himmel. Vor dem gegenüberliegenden Hotel entdecke ich Leute, die uns zusehen und Kinder, die hinter einem verschlossenen Fenster wohl unsere Körperposen imitieren, indem sie sich verdrehen und kuriose Verrenkungen machen. CHRONONIMA hat begonnen. ![]() (Foto: Magdalena Heinich) ZEITRÄUME - - - STILLE - - - RÄUME FÜR ZEIT Nach dem ersten Straßen-Hörspiel, das von der ZEIT an sich handelt, nehmen wir unsere Augenmasken und Hüte und werden zu Sänftenträger:innen. Wir setzen uns in Bewegung, vor uns schreitet eine geheimnisvolle Gestalt. Sie trägt eine Stabmaske mit vier Augen und erkundet mit uns in Zeitlupengeschwindigkeit den Weg hinauf bis zur Lange Gasse. Die Sänfte quietscht und rollt, denn wir tragen sie nur scheinbar. Versteckte Räder unterstützen uns auf unserem Weg. Unser Schritte sind riesig und langsam, wir erleben die Umgebung gemeinsam mit allen, die uns begleiten. Aus der Sänfte ertönen Stimmen und Geräuschcollagen aus dem Hörspiel 'Verabredung mit dem Wesen der Zeit‘ von Walter Kreuz. Kurz wird es ganz still, wir sind gerade dabei, die Anhöhe der Josefsgasse zu meistern, jene Steigung, die so manche Radfahrer:innen dazu verleitet, in sehr hohem Tempo hinunter zu rasen. Andere, die im normalen Tempo fahren, bemerken uns freundlich lächelnd. Wir bleiben in jedem Fall höflich und grüßen alle Beräderten. Die Tempo-Anzeigetafel, welche deren gefahrenen Geschwindigkeiten misst, spricht Bände. ![]() Mit fünf Stabmasken in der Begegnungszone Josefsgasse/Lange Gasse unterwegs (Foto: gecko art) POESIE - - - MUSIK - - - BEWARTUNG Wir haben unzählige Begegnungen auf diesem kurzen Weg in Richtung Lange Gasse. Ein rauchender Mann grüßt uns von einer der vorgelagerten Terrassen des Hotels. Menschen, die gerade aus den Häusern kommen, blicken erstaunt auf unseren Zug. Leute aller Altersstufen, verkabelt oder ohne Ohrstöpseln bemerken uns, ignorieren uns oder bleiben stehen, um mit uns zu sprechen. Unser nächste Station auf dieser Hörspiel-Reise ist die Trafik in der Lange Gasse. Das Publikum hat sich bereits eingefunden. Zu unserem Erstaunen stellen wir fest, dass alle Altersgruppen vertreten sind. Wir bringen ein Hörspiel, das vom Wasser, dem Ozean und den Menschen erzählt, die an Land geblieben sind. Autos rumpeln vorbei, es wird lauter. Der zunehmende Straßenlärm erstaunt uns, obwohl wir die Gegend gut kennen. Doch das längere Verweilen an einem Platz bedeutet offensichtlich, immer mehr Details wahrzunehmen. Nach unserer Performance kommen wir mit dem Publikum ins Gespräch. Einige haben Zeit, mit uns weiterzuziehen. Wir überqueren die Gasse und finden vor der Käsehandlung unseren dritten Performance-Ort. Der Verkehrslärm wummert in unseren Ohren, manche Autos wirken in der schmalen Lange Gasse deplatziert und wuchtig. Die Insassen sind zumeist langsam unterwegs und reagieren freundlich auf unsere Grußrituale. Das dritte Straßen-Hörspiel beginnt. Es besteht aus drei lyrischen Texten, handelt von Liebe, Zeitlosigkeit und Erinnerung. Das Publikum beschenkt uns mit Bravo-Rufen. Auch hier führen wir nach der Performance gute Gespräche und genießen die Wertschätzung der Menschen. Kunden der Käsehandlung und Lokalbesucher:innen der umgebenden Lokale verfolgen unseren Umzug und die Performances mit ihren Blicken. CHRONONIMA endet für diesen Tag und wir rollen die Sänfte in die Neudeggergasse, wo sie bei einem Künstlerkollegen untergestellt werden kann. Interessierte Hundebesitzer samt neugierigen Hunden sind die Begleitung für das letzte Stück unseres Weges. ![]() Plätze und Begegnungspunkte mit neuen Bezeichnungen oder: Plätze und Begegnungspunkte werden kreativ umbenannt (Foto: gecko art) WAHRNEHMUNG - - - INNEHALTEN - - - ZUKUNFT Unsere Reisen mit CHRONONIMA in den nächsten Tagen und Wochen bringen interessante neue Begegnungen. Wir bespielen den Hugo Bettauer-Platz, betönen den Bio-Markt in der Lange Gasse. Unser Begegnungs-Horizont wird minütlich erweitert. Geschäftsleute treten neugierig aus ihren Lokalen und winken uns zu. Wir fühlen uns wie in einem Film, das Schauen und Hören kann sich unaufdringlich miteinander verbinden. Begegnungen werden in jedem Moment neu definiert. In unseren Straßen-Hörspielen sinnieren wir über ‚Diagnose Leben?‘, feiern das Innehalten und das Bewarten von Orten, wir analysieren die Luft dieses Sommers, betreten den ‚Transitraum Leben‘, wir machen uns Gedanken über den Planeten Erde oder über die Sprache, die zwischen den Worten liegt. Und wir lassen Kedube, eine fiktive Unterart des Grönlandwals, die Zukunft der Menschheit vorausträumen. Mit poetischen Texten, Melodien und Geräuschcollagen soll die analoge Welt hoch leben. Möge die Wahrnehmung sich erweitern und die Stille und das Innehalten zur Normalität werden! Evelyn Blumenau, September 2025 Links: Projektseite CHRONONIMA Nachhören aller Straßen-Hörspiele Näheres zu den Audioproduktionen Näheres zu Maskenproduktion und Sänftenbau ORF-Interview in der Ö1-Sendereihe LEPORELLO |
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