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Laufende Text-Ereignisse / 3
Laufende [TEXT]-Ereignisse

LTE 102

KÖRPERSPRACHE UND SINNESWAHRNEHMUNG
von WALTER KREUZ

S 1

Die leise Sprache der Sinne

Körpersprache wird oft nur als unbewusster Mitläufer in der Kommunikation unter Menschen angesehen. Selbstverständlich ist der Gebrauch der Sinnesorgane für die primäre Orientierung in der Welt unerlässlich, bleibt jedoch nicht selten nur seinem jeweiligen Zweck verpflichtet. Sinneswahrnehmung ist ein wechselseitiger Vorgang: Man "sinnt" in die Welt hinaus und erhält "Informationsportionen" zurück. Der Körper beschränkt sich dabei verständlicherweise auf das Wesentliche, auf das Nötige. Meist hält er still oder begibt sich in typische Haltungen, die je nach Kultur variieren. Wenn die Sinnesorgane mit dem Akt der Wahrnehmung tätig werden, ist dies mitunter nur ein leiser, kaum wahrnehmbarer Prozess mit sich selbst.

Dass beim Wahrnehmungsakt das Hirn auf Hochtouren läuft (etwa bei Beschäftigung mit dem eigenen Handy oder anderen Bildschirmtätigkeiten), ist bestenfalls an der flinken Fingerakrobatik ablesbar. Der Rest des Körpers verharrt in einer Art Ruheposition (von Nasebohren oder Kinnkratzen oder Füßereiben einmal abgesehen).

Wahrnehmung von Wahrnehmung
Menschliche Räume und seine wunderbaren Wimmelbilder

Was wäre, wenn bewegtes Denken sich in Bewegungen des Körpers spiegelte? Was kann getan werden, dass Sinneswahrnehmung selbst zum Gegenstand der Wahrnehmung wird? Was wäre, wenn jede Wahrnehmung eine individuelle Note erhielte - z.B. eine Pose, eine Bewegung, einen Tanz oder Mimik und Gestik?

Im Stadtbild könnte dies mitunter Verstörung verursachen. Man ist möglicherweise an ein Wimmelbild von Pieter Bruegel den Älteren erinnert. Ja, Bruegel, ein Maler, der das einfache Leben darstellen wollte und alle Gedanken der Personen im Bild durch deren Gesten und Posen unmittelbar sichtbar machte. Und genau bei dieser Sichtbarmachung kommt der Faktor Zeit ins Spiel. Wie in jedem Gemälde ist nur ein Augenblick dargestellt (im wahrsten Sinne des Wortes).

Dieser Augenblick, dieser Sekundenbruchteil wird auf einen Zeitraum von Monaten, gar Jahren ausgedehnt, einen Zeitraum, der mit den ersten Skizzenstrich beginnt und mit dem letzten getrockneten Pinselstrich endet.

Wahrnehmung als Normüberschreitung

Stadtfotos der Gegenwart zeigen belebte Straßen mit fast ausschließlich braven Menschen. Jene, die äußerlich nicht spannungslos in einer Blickstarre auf ihre Displays versunken sind, erweisen sich als Schreitende, Sitzende oder Hockende in der Duldungsbreite, in der Passform des jeweiligen Zeitgeists. Sinneswahrnehmung läuft immer mit, sorgt für die optimale Strecke zwischen den höchst individuellen Start- und Zielpunkten der Stadtperson. Optimiert wird dabei vor allem Zeit. Sehen, Hören, Riechen und alle anderen Sinne finden nur solange Anwendung, solande es notwendig ist.

Was wäre, wenn ich meine Lieblingswahrnehmungsform - z.B. das Hören - in einem Bild oder einem Foto darstellen würde? Dies braucht Zeit, viel Zeit, Vorbereitungszeit, Denkzeit, obwohl der Akt des Hörens zuweilen ein ganz kurzer ist. Ich wäre plötzlich mit einer Gesamtdarstellung meines Körpers konfrontiert, dessen Partien ich mich nun – einer nach der anderen – stellen muss. Was machen meine Beine, meine Arme, mein Bauch, mein Gesäß beim Hören? Sind sie meine Verbündeten, meine Hemmschuhe oder sind sie womöglich gar nicht vorhanden?


© 2023 Walter Kreuz                           S 1 / S 2 >
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